Utopisch essen


aus: Thomas Morus: Utopia. München 1896, S. 83-89
Diese Spitäler sind so gut eingerichtet, und mit Allem, was der Gesundheit zuträglich ist, ausgestattet, es herrscht darin so zarte und gewissenhafte Pflege, die erfahrensten Aerzte sind so fleißig anwesend, daß, wenn auch Niemand wider seinen Willen hineingethan wird, es andererseits wohl keine Person in der ganzen Stadt gibt, die, wenn sie leidender Gesundheit ist, nicht lieber dort als zu Hause sich auf's Krankenlager legen wollte.
Wenn der Küchenmeister für die Kranken die von den Aerzten verordneten Eßwaaren erhalten hat, wird das Beste gleichmäßig an die Hallen nach ihrem Stärkeverhältniß von Speisegästen vertheilt, nur daß besondere Aufmerksamkeit dem Fürsten, dem obersten Priester und den Traniboren erwiesen wird, wie auch den Gesandten und allen Ausländern (deren immer nur wenige anwesend sind, was aber auch nur selten der Fall ist), für die gewisse Gebäude eigens hergerichtet werden.

In diesen Hallen für Mittagsmahl und Abendessen kommt zu bestimmten Stunden, durch den Schall eherner Posaunen zusammengerufen, die gesammte Syphograntie zusammen, außer Jenen, die in Spitälern und zu Hause krank darniederliegen.
Gleichwohl wird Niemand gelindert, nachdem die Hallen versehen sind, sich Eßwaaren nach Hause geben zu lassen, denn man weiß, daß das Niemand aus Muthwillen thut. Denn, wenn es auch Keinem verboten ist, zu Hause zu speisen, so thut [87] es doch Niemand gern, da es nicht gerade für besonders ehrbar gilt; auch gilt es für thöricht, sich die Mühe mit der Bereitung eines mittelmäßigen Mahles zu machen, da man es herrlich und trefflich zubereitet ganz in der Nähe in der Halle haben kann.

In dieser Halle werden alle schmutzigeren oder mühsameren Dienstleistungen von Knechten verrichtet. Das Kochen und die ganze Herrichtung der Speisetische besorgen die Frauen allein und zwar von allen Familien abwechslungsweise. Man nimmt an drei oder mehr Tischen Platz, je nach der Zahl der Gäste. Die Männer haben die Plätze an der Wand, die Frauen ihnen gegenüber, damit sie, wenn ihnen plötzlich eine Uebelkeit zustoßen sollte, was bei Schwangeren zuweilen der Fall zu sein pflegt, ohne die Sitzordnung zu stören, sich erheben und zu den Ammen abgehen können; diese sitzen dann mit ihren Säuglingen in einem eigenen Speisezimmer, das nie ohne Feuer und reines Wasser ist, wo sich auch die Wiegen befinden, um die Tragekinder hineinlegen und beim Feuer aus den Windeln wickeln zu können, wo sie dann mit ihnen tändeln.Jede Mutter säugt ihr Kind, woran sie nur der Tod oder Krankheit verhindert; in solchem Falle besorgen die Frauen der Syphogranten rasch eine Amme, was nicht schwer fällt. Denn die zu solcher Dienstleistung Geeigneten bieten sich zu keinem Amte lieber an, weil ihnen für diesen Liebesdienst von allen Seiten Lob entgegen gebracht wird und der Säugling nachmals die Amme wie seine Mutter betrachtet.
In der Ammenstube befinden sich alle Knaben; die das fünfte Jahr noch nicht zurückgelegt haben. Die Unerwachsenen beiderlei Geschlechts, die noch nicht heirathsfähig sind, warten entweder den um die Tafel Gelagerten auf, oder stehen wenigstens, wenn sie sich dem Alter nach noch nicht dazu eignen, dabei, verhalten sich aber gänzlich schweigsam und still. Sie essen, was ihnen von den Tafelnden gereicht wird, daselbst, haben auch sonst keine Zeit für das Essen bestimmt.

In der Mitte des ersten Tisches (dieses ist der oberste Platz) sitzt der Syphogrant mit seiner Gattin. Von dieser Stelle aus [88] übersieht man die ganze Tischgesellschaft, weil dieser Tisch im obersten Theile des Speisesaales quer steht. Neben ihnen sitzen zwei der Aeltesten. Denn an allen Tischen sitzt man zu viert.

Wenn aber ein Tempel in der Syphograntie gelegen ist, so sitzen der Priester und seine Frau beim Syphogranten und führen den Vorsitz. Zu beiden Seiten von ihnen sitzen jüngere Leute, dann wieder Greise, und so sind im ganzen Hause sowohl Altersgenossen zusammengebracht, als auch andere Altersstufen daruntergemischt, eine Einrichtung, die deswegen getroffen worden, damit der gesetzte Ernst der Greise und die Ehrfurcht vor ihnen die jüngeren Leute von zügellosem Gebahren in Wort und Gebärde zurückhalte (da nichts am Tische gesprochen oder gethan werden kann, was der Aufmerksamkeit der ringsum Sitzenden entginge).

Die einzelnen Gänge der Speisen werden nicht in der Reihenfolge vom Ersten aufgetragen, sondern zu erst das Beste von jedem Gerichte den Aeltesten vorgesetzt (deren Plätze ausgezeichnet sind), dann werden alle Uebrigen gleichmäßig bedient. Aber die Greise theilen von ihren Leckerbissen (die nicht in so großer Menge vorhanden sind, daß sie in der ganzen Halle freigebig vertheilt werden können) nach Gutdünken den Umsitzenden mit. So wird den Alten die ihnen gebührende Ehrung erzeigt, und in Einem kommt diese auch allen Andern zu gute.

Jede Mittags-, ebenso wie die Abendmahlzeit wird mit einer moralischen Vorlesung eingeleitet, die aber kurz ist, damit sie nicht Ueberdruß erweckt. Hierauf ergreifen die Greise die Gelegenheit zu ehrbaren Reden, doch nicht düsterer, sondern heiterer Art. Aber sie führen nicht während des ganzen Mittagessens allein in langen Tiraden das Wort: sie hören auch gern die Jungen und fordern sie absichtlich zum Reden auf, um sich mittels der beim Mahle herrschenden Ungezwungenheit von den Charakteranlagen und geistigen Fähigkeiten derselben zu überzeugen.

Die Mittagsmahlzeiten sind recht kurz, die Abendmahle dauern länger, weil auf jene wieder Arbeitszeit, auf diese Schlaf und nächtliche Ruhe folgt, die man für eine gesunde Verdauung für viel zuträglicher hält.

[89] Keine Abendmahlzeit verläuft ohne Musik. Auch entbehrt der Nachtisch nicht allerlei Leckereien; sie zünden wohlriechende Substanzen an, sprengen mit duftenden Essenzen und unterlassen nichts, was die Tischgäste zu erheitern geeignet ist.
Denn sie neigen in dieser Beziehung sehr gerne zum Vergnügen, so daß sie keinerlei Lustbarkeit, aus der nichts Uebles zu erfolgen im Stande ist, für untersagt halten.

So ist das gesellige Zusammenleben in den Städten beschaffen; die am Lande entlegen von einander Wohnenden, essen jeder für sich allein zu Hause; es fehlt keiner Familie etwas an ihrem Lebensunterhalte, denn von ihnen kommt ja erst Alles, wovon die Bürger in den Städten sich ernähren.