Vom Gelde

aus: Thomas Morus "Utopia"

Denn es ist durchaus natürlich und nothwendig, daß, je fremder und unerhörter etwas den Sitten und Gebräuchen der Zuhörer ist, es auch um so weniger Glauben bei ihnen findet, obwohl ein vernünftiger Beurtheiler sich eigentlich nicht eben so sehr darüber wundern dürfte, da ja auch ihre sämmtlichen übrigen Einrichtungen so bedeutend von den unsrigen abweichen – wenn daher auch der Gebrauch, den sie von Gold und Silber machen, mehr ein ihren als unsern Sitten entsprechender ist.

Sie bedienen sich nämlich unter sich keines Geldes, das sie vielmehr für solche Fälle aufheben, wo es ihnen von Nutzen werden kann, wenn es auch möglich ist, daß solche niemals eintreten.

Mit dem Golde und Silber, woraus Geld hergestellt wird, hat es bei ihnen nämlich diese Bewandtniß, daß es kein Mensch höher schätzt, als ihm seinem natürlichen Werthe nach zukommt, und wer würde da nicht einsehen, daß diese beiden Metalle weit unter dem Eisen stehen? Denn ohne dieses können die Menschen doch wahrhaftig ebensowenig leben, wie ohne Feuer und Wasser, während die Natur dem Gold und Silber keinen Gebrauch verliehen hat, dessen wir nicht leicht entrathen könnten, und es nur die Thorheit der Menschen ist, die der Seltenheit einen so hohen Werth beigelegt hat. Und als eine höchst liebevolle Mutter hat die Natur die nützlichsten Dinge uns ohne alle Schwierigkeiten zugänglich gemacht, wie Luft, Wasser und die Erde selbst, die nichtigen, eitlen, unnützen aber weit entrückt.

Wenn nun diese Metalle bei ihnen irgendwo in einen Thurm verschlossen würden, so könnte der Fürst sowohl als der Senat in den Verdacht kommen (wie das Volk dummpfiffger Weise denkt), [93] als ob sie das Volk hinterlistig betrügen und für sich selbst Vortheil daraus ziehen wollten.
Sie sehen ferner sehr wohl ein, daß, wenn sie daraus Schalen oder andere Gegenstände der Schmiedekunst verfertigen wollten, und diese dann bei vorkommender Gelegenheit wieder einschmelzen müßten, um den Soldaten den Sold auszuzahlen, die Leute sich nur sehr ungern von Dingen trennen würden, an denen sie erst einmal Wohlgefallen zu empfinden angefangen hätten.

Um allen Diesem zu begegnen, haben sie ein Mittel erdacht, das zwar mit ihren übrigen Einrichtungen sehr wohl übereinstimmt, aber mit den unsrigen ganz und gar unvereinbar wäre, da bei uns das Gold so hoch gehalten und so sorgsam bewahrt wird, eine Maßregel, die daher nur Jenen glaublich erscheint, die sich aus der Erfahrung von ihrem wirklichen Bestehen überzeugt haben.

Denn da sie aus zwar sehr zierlichen, aber billigen thönernen und irdenen Gefäßen essen und trinken, so verfertigen sie aus Gold und Silber Nachtgeschirre und andere zu niedrigstem Gebrauche bestimmte Gefäße für die gemeinschaftlichen Hallen sowohl als für Privathäuser. Ueberdies werden Ketten und dicke Fesseln für die Sklaven aus diesen Metallen gefertigt. Endlich werden allen Denen, die durch ein Verbrechen ehrlos geworden sind, goldene Ringe in die Ohren gehenkt, goldene Fingerringe angesteckt, eine goldene Kette um den Hals gethan und um den Kopf wird ihnen eine goldene Schnur gebunden.
So sorgen sie auf alle Weise dafür, daß Gold und Silber bei ihnen eine schimpfliche Rolle spielen, und so kommt es, daß diese Metalle, die sich andere Völker nur unter Schmerzen, als ob es ihre eigenen Eingeweide wären, entreissen lassen, für nichts geachtet werden und, wenn die Utopier einmal alles Gold und Silber, das im Lande ist, hergeben müßten, kein Einziger erachten würde, er habe deswegen auch nur ein As verloren.
Überdies sammeln sie Perlen am Meeresufer und Diamanten und Granaten in gewissen Felsen, ohne sie eigentlich zu suchen, aber die ihnen zufällig sich darbietenden schleifen sie. Damit schmücken sie ihre kleinen Kinder, die zwar in den ersten Jahren der Kindheit sich damit brüsten und sehr stolz darauf sind, im etwas vorgerückteren Alter jedoch sie freiwillig, ohne daß es einer Mahnung seitens der Eltern bedürfte, ablegen, so bald sie sehen, daß derlei Kindertand eben nur die Knaben benutzen, dessen sie sich alsbald von selbst schämen. Gerade so werfen unsere Knaben, sobald sie heranwachsen, ihre Nüsse, Knöpfe und Puppen von sich.

Wie sehr aber diese von denen anderer Völker ganz und gar abweichenden Gebräuche und Einrichtungen auch ganz verschiedene Anschauungen und Gesinnungen erzeugt haben, ist mir nie so klar geworden, als im Falle der Anemolischen Gesandten.
Diese waren nach Amaurotum gekommen (zur Zeit, als ich mich gerade dort aufhielt), und weil es über wichtige Dinge zu verhandeln galt, so waren noch vor ihnen jene drei Bürger aus der Stadt dort zusammengekommen. Nun kannten aber die Gesandten aller benachbarten Völkerschaften, die einmal auf der Insel gelandet hatten, bereits die Sitten der Utopier, wußten, daß diese auf prunkvollen Staat und Aufputz nichts gaben, Seide verachtet werde, Gold aber gar in schimpflichem Verrufe sei, und waren daher stets in so bescheidenem Aufzuge als nur möglich in Utopien erschienen. Aber die Anemolier, deren Wohnsitze ziemlich weit abgelegen waren, und kaum Verkehr mit den Utopiern gehabt hatten, hatten vernommen, daß diese alle dieselbe grobe Tracht trügen, und der Meinung waren, sie hätten Mangel an dem, was sie nicht zur Schau trugen, beschlossen, mehr hoffärtig als weise, sich an Pracht wie die Götter herauszustaffiren und durch den Glanz ihres Ornats die Augen der armseligen Utopier zu blenden. So hielten denn die drei Gesandten ihren Einzug mit einem Gefolge von hundert Personen, alle in bunten Farben, die meisten in Seide gekleidet, die Gesandten selbst aber, die in[95] ihrem Lande Edelmannsrang hatten, in golddurchwirkten Gewändern, mit großen goldenen Ketten, mit goldenen Ohr- und Fingerringen, obendrein mit an den Hüten, die von Perlen und Edelsteinen funkelten, besetzten Kleinodien, kurz mit allen jenen Dingen geschmückt, die bei den Utopiern entweder von den Sklaven zur Strafe getragen werden müssen, oder schimpfliche Abzeichen de Ehrlosen, oder Knabenspielzeuge sind.
Es war wahrhaft der Mühe werth, zu sehen, wie sie den Kopf hoch trugen, als sie ihren festlichen Putz mit der Kleidung der Utopier verglichen (denn das Volk war in hellen Haufen auf alle Straßen geströmt).

Dagegen aber war es nicht minder lustig, zu beobachten, wie sehr die Gesandten ihre Erwartung getäuscht sahen und wie weit sie davon entfernt waren, der Hochschätzung theilhaft zu werden, die sie zu erzielen gehofft hatten.

Denn in den Augen aller Utopier, mit Ausnahme einiger Weniger, die aus irgend einem ernsten Grunde bei fremden Völkerschaften gewesen waren, erschien all dieser glänzende Staat schandbar und sie grüßten gerade die Niedrigsten ehrerbietig, weil sie sie für das Ehrenpersonal hielten, die Gesandten selbst aber hielten sie deswegen, weil sie goldene Kelten trugen, um gekehrt für Sklaven und ließen sie daher ohne alle Ehrenbezeugung vorüberziehen.
Und die Knaben hättest du sehen sollen, wie sie ihre Edelsteine und Perlen schleunigst fortwarfen, als sie sahen, daß solche an die Hüte der Gesandten angeheftet waren, und wie sie ihre Mütter zupften und stupften:

"Schau, Mutter, was für ein großer Schlingel da noch Perlen und Edelsteine trägt, als ob er noch ein kleiner Knirps wäre."
Aber die Mutter heißt ihn ganz ernsthaft schweigen und sagt: "Vielleicht ist das einer der Possenreißer der Gesandten."
Und Andere sagten beim Anblicke der goldenen Ketten, daß sie ja nicht zu brauchen seien, weil sie viel zu zierlich wären, so daß sie der Sklave leicht zerbrechen könne, und andererseits [96] hingen sie so schlaff herunter, daß derjenige, der sie um habe, sie abwerfen könne, sobald er wolle, und ungehindert entfliehen.

Als die Gesandten zwei Tage dagewesen waren, entdeckten sie eine große Menge Gold in ganz niedriger Verwendung und in nicht geringerer Unehre gehalten, als sie es hoch in Ehren hielten, und als sie nun gewahrten, daß ein einziger flüchtig gewordener Sklave an Ketten und Fesseln mehr Gold und Silber an sich trug, als sie alle drei zusammen, da zogen sie bescheidenere Saiten auf, schämten sich des Pomps, womit sie sich so sehr gebläht hatten, und legten ihn beiseite, namentlich nachdem sie mit den Utopiern eine vertraulichere Unterredung angeknüpft und deren Anschauungen und Sitten kennen gelernt hatten.

Sie wundern sich gar sehr, wenn sich Jemand an dem zweifelhaften Glanze eines Edelsteinchens oder eines falschen Steines ergötzt, während er doch nur einen beliebigen Stern oder den Glanz der Sonne selbst als etwas viel Schöneres zu betrachten braucht, oder wie Jemand so unvernünftig sein könne, daß er sich selbst etwas Besseres dünkt, weil er einen Rock von feinerem Gewebe anhat, denn sei die Wolle auch noch so sein, so hat sie doch immer zuerst ein Schaf getragen, und dieses ist mittlerweile nichts Anderes geworden, sondern ist immer ein Schaf geblieben.

Ebenso wundern sie sich, wie das seiner Natur nach ganz unnütze Gold jetzt in der Werthschätzung aller Völker so hoch stehe, daß der Mensch selbst, durch den und dessen Gebrauch es erst jenen Werth erhalten hat, viel niedriger geschätzt wird. Und das geht so weit, daß irgend ein Dummkopf, der nicht mehr Verstand hat als ein Holzklotz, und ebenso schlecht als dumm ist, viel weise und brave Männer in seiner Dienstbarkeit hat, und das nur deswegen, weil er zufällig einen größeren Haufen gemünzten Goldes besitzt. Wenn dieses durch einen Glücksumschwung oder einen Gesetzeskniff (der nicht minder als das Gesetz selbst das Unterste zu oberst kehren kann) von jenem Herrn und Besitzer auf den erbärmlichsten Taugenichts seines Hausgesindes übertragen würde, so würde der Herr alsbald in die Knechtschaft seines [97] Dieners kommen, als ob er nur ein Anhängsel und eine Zugabe zum Gelde sei.

Noch viel mehr wundern sie sich über die Unvernunft Derjenigen, und lassen ihr die gebührende Verachtung angedeihen, die den Reichen, deren Schuldner sie weder, noch denen sie sonst irgendwie verpflichtet sind, fast göttliche Ehren erweisen, aus keinem anderen Grunde, als weil sie reich sind, und trotzdem, daß sie sie als so filzig und habsüchtig kennen, um zu wissen, daß ihnen bei Lebzeiten dieser Reichen nie auch nur ein einziger Denar von denselben zukommen wird.